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Europaweite Netzsperren im Anzug

December 2, 2010

Vor einigen Tagen rief uns RA Stadler mit einem hervorragenden Artikel den Richtlinienvorschlag der Europäischen Kommission zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und der sexuellen Ausbeutung von Kindern sowie der Kinderpornografie ins Gedächtnis. Mit dieser Richtlinie, die in den kommenden Monaten in die entscheidende Phase geht, sollen Internetseiten, die Bilder von Kindesmissbrauch zeigen, europaweit gesperrt werden. Momentan wird der Text noch im Europarat verhandelt.

European Digital Rights (EDRi) schreibt hierzu, dass sich vor allem Deutschland und Rumänien dafür einsetzen, dass das Instrument der Netzsperren fakultativ bleibt. Frankreich und Italien (die bereits Netzsperren für die Bereiche des Glücksspiels und des Urheberrechts haben) möchten aber, dass Sperren für die Mitgliedstaaten obligatorisch werden. Im derzeitigen Entwurf des Rates gibt es mehrere fragwürdige Formulierungen, nennenswert ist insbesondere Artikel 21 2.

Ist die Entfernung von Webseiten, die Kinderpornografie enthalten oder verbreiten, nicht möglich, so trifft jeder Mitgliedstaat die gesetzgeberischen oder nichtgesetzgeberischen Maßnahmen, die erforderlich sind, um sicherzustellen, dass der Zugang zu Webseiten, die Kinderpornografie enthalten oder verbreiten, für Internet-Nutzer in seinem Hoheitsgebiet gesperrt werden kann. Die Zugangssperrung erfolgt vorbehaltlich angemessener Schutzvorschriften; insbesondere soll sichergestellt werden, dass die Sperrung unter Berücksichtigung technischer Merkmale auf das Nötige beschränkt wird, dass die Nutzer über die Gründe für die Sperrung informiert werden und dass Inhalteanbieter im Rahmen des Möglichen darüber unterrichtet werden, dass sie die Entscheidung anfechten können.

Dem ersten Teil des Artikels widerspricht die Folgenabschätzung der Europäischen Kommission vom letzten Jahr, in dem sie erklärte, dass nichtgesetzgeberische Maßnahmen illegal seien.

Was vollkommen im Richtlinienvorschlag fehlt und ebenfalls von Thomas Stadler hier bemängelt wird, ist eine geplante Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten zur Bekämpfung dieser abscheulichen Art von Verbrechen. Eine internationale Kooperation wäre eine effiziente Vorgehensweise gegen Kinderpornografie im Internet, um Webseiten so schnell wie möglich zu löschen. Zudem würde es Sinn machen, die finanziellen Mittel, die für Netzsperren ausgegeben werden, auf die Identifizierung und Rettung der Opfer anzuwenden sowie auf die strafrechtliche Verfolgung der Betreiber von Webseiten und P2P-Handelsnetzen.

Das Gesetzgebungsverfahren zur Umsetzung der Netzsperren-Pläne der EU-Kommissarin Cecilia Malmström (aka Censilia) soll bis Anfang Februar 2011 abgeschlossen sein. Eine informelle Einigung wird es wohl in den nächsten Tagen im Europarat geben, im EU-Parlament wird ein Berichtsentwurf bereits am 10. Januar 2011 vorgelegt. An dieser Stelle möchten wir noch einmal auf die Aktion von Netzpolitik.org hinweisen, an der sich jeder beteiligen kann.

Bevor das Europäische Parlament über die Richtlinie entscheidet,  sind erst einmal die Mitglieder des Ausschusses für Bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE) des Europäischen Parlaments hier die wichtigsten Ansprechpartner. Hintergrundinformationen und Argumentationshilfen gibt es beim AK Zensur.

Weitere Links

AK Zensur: Internet-Sperren sind Unfug im Kampf gegen Kindesmissbrauch

AK Zensur: Malmström lässt sich instrumentalisieren

AK Zensur: Netzsperren bedeuten Wegsehen statt Handeln

Offener Brief von MOGiS (Verein “Missbrauchsopfer gegen Internetsperren”) an die Mitglieder des LIBE-Ausschusses (EN)

Dankesschreiben der Cybercriminals an EU-Kommissarin Malmström (EN)

EDRi: Internet Blocking – A Stupid Smart Bomb for the Internet (EN)


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